Was Kinder berührt: Warum eine Umarmung mehr tröstet als tausend Worte.

Mit zwei Jungs durch den Supermarkt zu schlendern, ist schon ohne Pandemie eine Herausforderung. Wenn aktuell trotz allgemeiner Hygienehinweise alles mögliche begeistert angetapst wird, macht es die Sache nicht unbedingt einfacher. Der Satz „Bitte nichts angreifen“ wird dabei zur Routine, ebenso wie das Zücken des Desinfektionsfläschchens und gleichzeitig der Gedanke an mein Interview mit dem deutschen Haptikforscher Prof. Dr. Martin Grunwald. Ein Gespräch, das nachhaltig Eindruck bei mir hinterlassen hat. Mit seinem Team erforscht der Wahrnehmungspsychologe an der Universität Leipzig im Haptic Research Laboratory den Tastsinn und seine essenzielle Bedeutung für unser Leben. Die für mich spannendsten Aussagen von Prof. Dr. Dipl.-Psych. Martin Grunwald  lesen Sie hier:

„Unsere Umwelt ist eindimensional geworden, was uns als dreidimensionales Wesen stört.”

Prof. Grunwald, Sie beschreiben, dass eine Umarmung mehr trösten kann als tausend Worte? Wie funktioniert das?

Der Organismus hat gelernt, dass Berührung zu schnellem Stressabbau führt. Bei Paaren etwa reicht eine Umarmung von Sekunden, um eine Veränderung der Stressbiologie zu messen. Bei der Umarmung fremder Personen funktioniert die Stressreduktion nicht so schnell. Prinzipiell ist es ein Mechanismus, der universell und weltweit funktioniert. Auch wenn sich Kinder wehtun. Dann laufen sie zu den Eltern, werden in den Arm genommen, und alles ist wieder gut. 

 

Kinder begreifen die Welt im wahrsten Sinn des Wortes. Wie wichtig sind diese Erfahrungen für das spätere Leben? 

Unser Organismus ist in drei Dimensionen aufgebaut – hoch/tief/breit. Genau wie unsere Welt außerhalb des Organismus dreidimensional ist. Unser Tastsinn, unser Gehirn haben sich über Millionen von Jahren darauf spezialisiert eine analoge Welt in 3‑D zu begreifen. Wenn also Kinder zu viele zweidimensionale Erfahrungen – mit Handy, Tablet etc. – erleben, verkümmern wertvolle Ressourcen, um die reale Welt in ihren drei Dimensionen zu verstehen. Ein Schiff aus einem Blatt Papier zu falten ist beispielsweise gar nicht so einfach. Mit einer Falt-App am Handy gelingt es in wenigen Schritten. Da fehlen dann oft in der analogen Welt die Geduld und die Konzentration, um reale Aufgaben zu lösen. 

 

Aktuell ist Digital Learning großes Thema. Wie sehen Sie diese Entwicklung? 

Welche Effekte diese Digital-Learning- Phase haben wird, werden erst Studien in der Zukunft zeigen. Aktuell merkt man schon, dass Lernen mehr als Wissenstransfer am Bildschirm ist. Die Schüler wollen in die Klassen, sich mit ihren Mitschülern austauschen, den Lernstoff begreifen.

 

Macht es also auch einen Unterschied, ob ich den gleichen Text am Bildschirm oder auf Papier lese? 

Auf jeden Fall! Analog, also Print, schneidet immer besser ab! Die körperliche Erfahrung beim Lesen eines Print-Artikels hat extremen Einfluss auf die Wirkung des Textes und die Gedächtnisleistung der Leser. Analoges Lesen ist ein multisensorisches Erlebnis im Gegensatz zum Lesen am Bildschirm. Ein Text, den man physisch in der Hand hält, wird anders gelesen. Man merkt sich den Inhalt viel besser, nimmt ihn intensiver wahr. Das beweist auch die Schulforschung.

 

Wird die aktuell vermehrte Kontaktlosigkeit nachhaltige Folgen haben?

Das Säugetier Mensch – wir gehören zur Klasse der Säugetiere – wird immer so handeln, wie es ihm guttut. Unsere Spezies hat die Pest überstanden, die spanische Grippe etc., und trotz dieser Krisen existieren kulturtechnische Verhaltensweisen wie Umarmungen oder Handschlag immer noch. Auch die Coronakrise wird unser Kommunikationsverhalten langfristig nicht vollständig verändern.

 

Das ganze Interview findet sich hier:

 

https://signature.at/magazin/beruehrendes-wissen